Wenn die Cloud ausfällt und die Matratze nicht mehr funktioniert
Am Montagmorgen, den 20. Oktober 2025, ging in einem Amazon-Rechenzentrum in Virginia das Licht aus. Nicht wortwörtlich, aber digital gesehen. Ein DNS-Problem legte die AWS-Region US-EAST-1 lahm[1]. Die Folgen? Global. Von Signal über Snapchat bis Fortnite – nichts ging mehr. Selbst vernetzte Matratzen blieben in ihrer Position stecken. Ja, richtig gelesen.
Der freundliche Buchhändler und sein Milliarden-Standbein
Amazon kennen die meisten als den Laden, wo man sich nachts um drei noch schnell ein Buch oder Katzenfutter bestellen kann. Was viele nicht wissen: Amazon Web Services (AWS) ist das eigentliche Goldgrubending. Mit einem Marktanteil von über 30% im Cloud-Computing dominiert AWS die digitale Infrastruktur unserer Welt.
Wenn AWS hustet, bekommt das halbe Internet eine Grippe. Genau das passierte am Montag. Ein DNS-Problem – die digitale Telefonauskunft des Internets funktionierte nicht mehr richtig. Anfragen konnten nicht mehr in IP-Adressen aufgelöst werden. Die Folge: Über 80 AWS-Dienste waren zeitweise betroffen[2].
Die Matratzen-Apokalypse
Die absurdeste Geschichte des Tages lieferte Eight Sleep. Das New Yorker Unternehmen verkauft “smarte” Matratzen für schlappe 2.849 Euro plus monatlich mindestens 17 Euro Abo-Gebühr[3]. Diese Luxus-Schlafunterlagen können heizen, kühlen und sich verformen.
Das Problem: Ohne Cloud-Verbindung ging gar nichts mehr. Kunden konnten ihre aufgerichteten Matratzen nicht mehr flachlegen. Die Heizung lief weiter. Die Kühlung ließ sich nicht aktivieren. Menschen konnten buchstäblich nicht schlafen, weil irgendwo in Virginia ein Server streikte[3]. Der CEO versprach daraufhin, “rund um die Uhr an einem Offline-Modus arbeiten zu lassen”[3].
Vielleicht sollten wir nicht alles digitalisieren, was technisch möglich ist. Eine Matratze, die ohne Internet nicht funktioniert? Ernsthaft?
Deutschland hatte Glück – diesmal
Kritische Infrastruktur in Deutschland blieb weitgehend verschont. Diesmal. Aber was passiert beim nächsten Ausfall? Martin Loschwitz warnt in seinem Kommentar: “Kann ein Land wie das Vereinigte Königreich seine Steuern nicht mehr erheben, weil zentrale IT nicht mehr funktioniert, ist das für das Land nicht weniger als eine Gefährdung seiner Existenz.”[4]
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Die Kosten der Bundesverwaltung für Microsoft-Lizenzen sind von 43 Millionen Euro im Jahr 2015 auf 204,5 Millionen Euro in 2024 gestiegen[5]. Fast eine Verfünffachung. 96% der Bundesverwaltung nutzen Microsoft Office und Windows[6].
Der mühsame Weg zu Open Source
Deutschland versucht gegenzusteuern. Schleswig-Holstein will 30.000 Arbeitsplätze auf Linux umstellen[7]. Das Projekt läuft, aber Richter Michael Burmeister berichtet von “zeitfressender neuer Technik”[8]. Die Stimmung sei “gemischt” und “anstrengend”.
München hatte es schon mal versucht. Das LiMux-Projekt startete 2003 hoffnungsvoll. 15.000 Arbeitsplätze wurden umgestellt. 2017 kam die Kehrtwende zurück zu Microsoft[9]. Die Begründung: “Immenser Verwaltungsaufwand”.
Von geschätzten 4-5 Millionen Verwaltungs-Arbeitsplätzen in Deutschland laufen weniger als 3% auf Open Source[10]. Ein Tropfen auf den heißen Stein.
Die unbequeme Wahrheit
Ich nutze AWS. Ich nutze Google Drive. Ich nutze Microsoft Office. Warum? Weil es funktioniert. Weil es bequem ist. Weil die US-Dienste meist einfach besser sind.
Das ist die bittere Pille, die wir schlucken müssen. Die amerikanischen Tech-Konzerne haben nicht nur einen technologischen Vorsprung. Sie haben ein Ökosystem geschaffen, das sich selbst verstärkt. Entwickler lernen auf ihren Plattformen. Startups bauen auf ihrer Infrastruktur auf. Unternehmen verlassen sich auf ihre Services.
Europa und das digitale Vakuum
Warum schaffen wir es nicht, eigene Alternativen aufzubauen? Die EU reguliert fleißig. DSGVO hier, Digital Services Act da. Alles wichtig, keine Frage. Aber für Gründer ist Europa kein Paradies.
Das Muster ist immer gleich: Ein vielversprechendes Startup entsteht in Berlin oder Paris. Es wächst. Und dann? Verkauf an einen US-Konzern. WhatsApp ging an Facebook. Skype an Microsoft. DeepMind an Google.
Die Kulturanthropologin Corinne Cath bezeichnet den AWS-Ausfall als “fundamentales demokratisches Defizit”[11]. Sie hat recht. Die Konzentration im Cloud-Computing-Bereich ist gefährlich. Aber dezentrale, gemeinschaftsbasierte Alternativen klingen zwar schön, sind aber technisch und wirtschaftlich eine Herausforderung.
Was bleibt?
Der AWS-Ausfall war ein Weckruf. Wieder einmal. Wie schon beim CrowdStrike-Debakel im Juli 2024[11]. Tech-CEO Emil Sayegh argumentierte schon damals in Forbes: “die Zeit der Sorglosigkeit sei vorbei”[11].
Ist Besserung in Sicht? Unwahrscheinlich. Mit der zunehmenden Verbreitung von KI-APIs wird die Vernetzung noch komplexer. Die Abhängigkeiten noch undurchsichtiger.
Was können wir tun? Im Großen: politischen Druck aufbauen für mehr digitale Souveränität. Im Kleinen: vielleicht nicht jedes Gerät ans Internet hängen. Eine Matratze muss nicht smart sein. Ein Toaster braucht kein WLAN.
Richard Stallman warnte schon 2008: “Ein Grund, warum Sie keine Webanwendungen für Ihre Datenverarbeitung verwenden sollten, ist, dass Sie die Kontrolle verlieren”[11]. Hätten wir mal auf ihn gehört.
Aber seien wir ehrlich: Morgen werde ich trotzdem wieder Google Docs öffnen, meine Dateien in der AWS-Cloud speichern und abends auf meiner dummen, analogen Matratze schlafen. Die funktioniert wenigstens auch ohne Internet.
Quellen
[1] heise online: Amazon Web Services: Globale Störung am Montagmorgen – https://www.heise.de/news/Amazon-Web-Services-Globale-Stoerung-am-Montagmorgen-9984531.html
[2] heise online: Amazon Web Services: Globale Störung am Montagmorgen – https://www.heise.de/news/Amazon-Web-Services-Globale-Stoerung-am-Montagmorgen-9984531.html
[3] heise online: AWS-Ausfall machte vernetzte Matratzen unbrauchbar – https://www.heise.de/news/AWS-Ausfall-machte-vernetzte-Matratzen-unbrauchbar-9989872.html
[4] heise online/iX Magazin: Kommentar zum Totalausfall bei AWS – https://www.heise.de/hintergrund/Kommentar-zum-Totalausfall-bei-AWS-Nichts-gelernt-in-den-letzten-30-Jahren-9989704.html
[5] Spiegel Online: Kosten für Microsoft-Softwarelizenzen des Bundes seit 2015 fast verfünffacht – https://www.spiegel.de/wirtschaft/kosten-fuer-microsoft-softwarelizenzen-des-bundes-seit-2015-fast-verfuenffacht-a-e685382a-e694-4748-bb66-e191a00e468e
[6] eGovernment: Die Bundesverwaltung ist abhängig von Microsoft – https://www.egovernment.de/die-bundesverwaltung-ist-abhaengig-von-microsoft-a-867383/
[7] brand eins: Bye-bye Microsoft – https://www.brandeins.de/magazine/brand-eins-wirtschaftsmagazin/2024/vorausdenken/bye-bye-microsoft
[8] NDR: Open Source beim Land kommt voran – https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/open-source-beim-land-kommt-voran-weiter-kritik-von-der-justiz,opensource-118.html
[9] Politik Digital: München – Von LiMux zu Microsoft – https://www.politik-digital.de/news/muenchen-von-limux-zu-microsoft-151665/
[10] Berechnung basierend auf Daten aus: Wikipedia – Open-Source-Software in öffentlichen Einrichtungen und diversen Quellen zur Verwaltungs-IT
[11] Online-Artikel “Noch ein Internet-Schluckauf” (Quelle in den bereitgestellten Dokumenten)
