Zwei Jahre nach dem 7. Oktober: Ist Frieden im Nahen Osten möglich?

Zwei Jahre. 730 Tage seit jenem Angriff, der alles veränderte. Der 7. Oktober 2023 markierte eine Zäsur – nicht nur für Israel, sondern für die gesamte Region. Heute, am zweiten Jahrestag, stellt sich die Frage: Selbst wenn Israel und Hamas morgen Frieden schließen würden – wäre die Region damit befriedet? Die ernüchternde Antwort: Nein.

Der 7. Oktober war abscheulich

Daran gibt es nichts zu beschönigen. Der Hamas-Angriff kostete nach offiziellen israelischen Angaben rund 1.200 Menschen das Leben.[1] Hunderte wurden als Geiseln verschleppt. Was an diesem Tag geschah, war Terror in seiner brutalsten Form. Die israelische Reaktion – militärische Gegenschläge, das Ziel, Hamas-Strukturen zu zerschlagen – war in diesem Moment nachvollziehbar. Jeder Staat hätte auf einen solchen Angriff reagiert.

Dann kam die Eskalation

Was danach folgte, sprengt jedoch jede Verhältnismäßigkeit. Gaza liegt heute weitgehend in Trümmern. Große Teile der Infrastruktur sind zerstört, Krankenhäuser, Schulen – unbewohnbar geworden.[2] Die humanitäre Katastrophe ist immens: mangelnde Versorgung mit Nahrung, Wasser, medizinischer Hilfe.[3]

Das Wort „Genozid“ schwebt über allem. Der Internationale Gerichtshof prüft seit Monaten entsprechende Vorwürfe gegen Israel. Ob dieser Begriff rechtlich standhält – darüber streiten Völkerrechtler. Dass aber etwas fundamental schiefgelaufen ist, lässt sich nicht mehr leugnen.

Es gab Waffenruhen – etwa vom 19. Januar bis 18. März 2025, die den Austausch von 33 israelischen Geiseln gegen 90 palästinensische Gefangene ermöglichte.[4] Doch Israel brach diese Feuerpause durch Überraschungsangriffe und erklärte die Wiederaufnahme der Kämpfe „in voller Stärke“.[4] Aktuell laufen neue Gespräche in Scharm el-Scheich, basierend auf Trumps 20-Punkte-Plan. Trump zeigt sich optimistisch: „Ich denke, wir werden bald ein Abkommen haben“.[5] Die ersten Verhandlungstage verliefen nach Berichten „positiv“.[6]

Ob daraus mehr wird als eine weitere temporäre Pause? Ist Frieden im Nahen Osten möglich? Die Geschichte lehrt Skepsis.

Geschichtlicher Kontext: Die Siedlungsfrage

Man kann den aktuellen Konflikt nicht verstehen ohne einen Blick auf Israels Siedlungspolitik. Seit 1967, seit der Eroberung des Westjordanlandes, baut Israel systematisch Siedlungen auf besetztem Gebiet. Die Zahlen sprechen Bände: Von 480 Siedlern im Jahr 1967 auf heute über 760.000 in Westjordanland, Ostjerusalem und den Golanhöhen.[7][8]

Besonders problematisch: Die Expansion beschleunigte sich ausgerechnet während des Oslo-Friedensprozesses. Zwischen 1993 und 2023 stieg die Siedlerzahl im Westjordanland von 110.000 auf 465.000 – ein Anstieg um 323%.[9] Der Internationale Gerichtshof entschied im Juli 2024 unmissverständlich: Diese Siedlungen sind völkerrechtswidrig.[10] Sie verletzen das Verbot der Gebietsaneignung durch Gewalt und untergraben das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser.[10]

Die Siedlungspolitik hat maßgeblich zum Scheitern mehrerer Friedensprozesse beigetragen. Beim Camp David-Gipfel 2000 war sie eines der fünf Haupthindernisse.[11] Premierminister Ehud Barak bot zwar die Räumung einiger Siedlungen an, bestand aber darauf, dass die großen Siedlungsblöcke bei Israel bleiben müssten.[11] Die palästinensische Seite lehnte ab – ein zusammenhängender palästinensischer Staat wäre damit unmöglich geworden.

Das Thema ist komplex und würde ganze Bücher füllen. Ich werde es in einem separaten Post ausführlicher behandeln. Aber so viel muss gesagt sein: Wer von Friedenswillen spricht, während gleichzeitig immer mehr Siedlungen gebaut werden, handelt unglaubwürdig.

Netanyahus kategorisches Nein

Genau hier liegt das Kernproblem. Premierminister Benjamin Netanyahu lehnt die Zwei-Staaten-Lösung kategorisch ab. In einer Pressekonferenz im Januar 2024 erklärte er: „Israel muss die Sicherheitskontrolle über das gesamte Gebiet westlich des Jordan haben – das ist unvereinbar mit einem palästinensischen Staat“.[12] Im Juli 2025 bekräftigte er: „Nach dem 7. Oktober sagen die Leute nicht mehr ‚Gebt ihnen einen weiteren Staat‘. Es wäre eine Plattform zur Zerstörung Israels“.[13]

Seine Argumentation: Jedes Gebiet, das Israel räume, bringe Terror. Er verweist auf Gaza, den Südlibanon, Teile des Westjordanlandes.[13] Die Sicherheitsbedenken sind nicht von der Hand zu weisen. Aber sie als Totschlagargument gegen jede Form palästinensischer Staatlichkeit zu nutzen, blockiert jeden Ausweg.

Analysten identifizieren drei Motive für Israels Widerstand:[14] Sicherheitsbedenken, religiöser Nationalismus (der Glaube an ein gottgegebenes Recht auf das gesamte Land) und wirtschaftliche Interessen – Kontrolle über Wasserressourcen, Offshore-Erdgas, Siedlungsland.

Warum die Zwei-Staaten-Lösung trotzdem unabdingbar ist

Meine Position ist klar: Die Zwei-Staaten-Lösung bleibt die einzig realistische Option. Nicht weil sie perfekt wäre. Nicht weil ihre Umsetzung einfach wäre. Sondern weil alle Alternativen schlimmer sind.

Eine Ein-Staaten-Lösung? In einem vereinten Staat würden Palästinenser die Mehrheit stellen – das Ende des jüdischen Charakters Israels.[15] Der Status quo? Eine endlose Besatzung, die weder für Israelis noch für Palästinenser tragbar ist.

Die internationale Gemeinschaft hat längst Position bezogen. 157 der 193 UN-Mitgliedstaaten – das sind 81% – erkennen mittlerweile den Staat Palästina an.[16] Im September 2025 verkündeten zehn weitere westliche Länder ihre Anerkennung, darunter Frankreich, Großbritannien, Australien und Kanada.[17] Der französische Präsident Emmanuel Macron formulierte es deutlich: „Die Anerkennung des Staates Palästina ist ein Weg zu bekräftigen, dass das palästinensische Volk nicht ein Volk zu viel ist. Wir können nicht länger warten“.[17]

Deutschland gehört weiterhin nicht dazu. Diese Haltung ist beschämend. Gerade Deutschland mit seiner historischen Verantwortung sollte konsequent für eine Lösung eintreten, die beiden Völkern Gerechtigkeit widerfahren lässt. Stattdessen verharrt man in einer Position, die faktisch den Status quo zementiert.

Die Zwei-Staaten-Lösung geht zurück auf die UN-Sicherheitsratsresolution 242 von 1967, die das „Land für Frieden“-Prinzip etablierte.[18] Israel zieht sich aus besetzten Gebieten zurück, im Austausch für Anerkennung und Frieden. Dieses Prinzip ist nach wie vor tragfähig – wenn beide Seiten bereit sind, Kompromisse einzugehen.

Die anderen Konflikte: Eine Region im Dauerkrisenmodus

Selbst wenn Israel und Hamas morgen einen dauerhaften Frieden schließen würden – die Region bliebe instabil. Der Gaza-Konflikt ist nur ein Teil eines größeren Puzzles.

Libanon und Hezbollah: Der Israel-Hezbollah-Krieg endete am 27. November 2024 mit einem Waffenstillstand.[19] Doch Israel führt weiterhin regelmäßige Angriffe durch. Am 6. Oktober 2025 tötete Israel Hassan Atwi, einen wichtigen Funktionär der Hezbollah-Luftabwehr, bei einem Drohnenangriff.[20] Die libanesische Regierung diskutiert zwar einen Plan zur Entwaffnung der Hezbollah, doch die Miliz lehnt ab, solange Israel strategische Punkte besetzt hält.[20]

Iran: Der direkte militärische Konflikt zwischen Iran und Israel eskalierte vom 13. bis 25. Juni 2025 zu einem zwölftägigen Krieg. Israel startete Überraschungsangriffe auf iranische Nuklearanlagen, Iran vergalt mit über 550 ballistischen Raketen und 1.000 Drohnen.[21] Die USA griffen aktiv ein und bombardierten drei iranische Nuklearanlagen. Nach US-Angaben wurde Irans Nuklearprogramm um ein bis zwei Jahre zurückgeworfen.[21] Ein Waffenstillstand wurde unter US-Druck erreicht – aber das Grundproblem bleibt ungelöst.

Jemen und die Houthis: Die iranisch-unterstützten Houthis setzen ihre Angriffe auf Israel fort. Israel reagierte mit verstärkten Luftangriffen und tötete am 28. August 2025 bei einem gezielten Schlag Premierminister Ahmed al-Rahawi.[22] Die Houthis haben seit November 2023 über 130 Raketen und 150 Drohnen auf Israel abgefeuert und mehr als 100 Schiffe im Roten Meer angegriffen.[23]

Syrien: Der Sturz des Assad-Regimes am 8. Dezember 2024 markierte zwar einen schweren Schlag für Irans „Widerstandsachse“.[24] Doch das Machtvakuum bringt neue Unsicherheiten. Die Rebellenallianz unter Führung von Hay’at Tahrir al-Sham kontrolliert nun weite Teile des Landes – eine islamistische Gruppe mit unklarer Agenda.[24]

Eine positive Entwicklung: Die Kurdistan Workers‘ Party (PKK) löste sich am 12. Mai 2025 nach über 40 Jahren bewaffnetem Kampf gegen die Türkei auf.[25] PKK-Führer Abdullah Öcalan rief zur Entwaffnung auf, ein neuer Friedensprozess wurde eingeleitet.[25] Das nimmt zumindest einen Konfliktherd aus der Gleichung.

Fazit: Frieden ist möglich – aber unwahrscheinlich

Ist Frieden im Nahen Osten möglich? Ja, theoretisch. Ist er wahrscheinlich? Nein, nicht unter den aktuellen Bedingungen.

Solange Israel unter Netanyahu die Zwei-Staaten-Lösung kategorisch ablehnt, fehlt die Grundlage für jeden nachhaltigen Frieden. Solange die Siedlungsexpansion weitergeht – allein in den ersten sechs Monaten 2023 wurden 13.000 neue Wohneinheiten genehmigt[26] – schwindet das palästinensische Vertrauen in eine politische Lösung.

Die öffentliche Unterstützung auf beiden Seiten ist dramatisch gesunken. Nur 27% der Israelis und 33% der Palästinenser unterstützen noch eine Zwei-Staaten-Lösung – 2012 waren es noch 61% bzw. 66%.[27]

Die aktuellen Friedensgespräche in Ägypten sind ein Hoffnungsschimmer. Aber ohne fundamentale Kompromisse – Israels Bereitschaft zu territorialen Zugeständnissen, palästinensische Sicherheitsgarantien, internationale Überwachungsmechanismen – werden sie scheitern wie alle vorherigen Versuche.

Zwei Jahre nach dem 7. Oktober stehen wir an einem Scheideweg. Die Region kann den Weg der weiteren Eskalation gehen – mit unabsehbaren Folgen. Oder sie kann den schwierigen, unbequemen Weg des Kompromisses wählen. Die Zwei-Staaten-Lösung ist nicht perfekt. Aber sie ist die einzige Alternative zum Dauerzustand von Gewalt und Gegengewalt.

Deutschland sollte endlich Position beziehen und Palästina anerkennen. Nicht trotz, sondern wegen seiner historischen Verantwortung. Denn echte Freundschaft zu Israel bedeutet nicht, jeden Kurs bedingungslos zu unterstützen. Sondern auf eine Lösung hinzuwirken, die beiden Völkern eine Zukunft gibt.


Quellen

[1] Wikipedia: 2025 Gaza war ceasefire. https://en.wikipedia.org/wiki/2025_Gaza_war_ceasefire

[2] Wikipedia: 2025 Israeli military operation in the West Bank. https://en.wikipedia.org/wiki/2025_Israeli_military_operation_in_the_West_Bank

[3] Oxfam America: The devastating cost of ignoring the ICJ’s July 2024 advisory opinion. https://www.oxfamamerica.org/explore/research-publications/one-year-on-the-devastating-cost-of-ignoring-the-icjs-july-2024-advisory-opinion/

[4] Wikipedia: 2025 Gaza war ceasefire. https://en.wikipedia.org/wiki/2025_Gaza_war_ceasefire

[5] ABC News: Live updates – Egypt to host ceasefire talks. https://abcnews.go.com/International/live-updates/israel-gaza-live-updates-egypt-host-ceasefire-talks/?id=126242055

[6] Al Jazeera: Day one of Gaza peace talks ends on positive note in Egypt. https://www.aljazeera.com/news/2025/10/7/day-one-of-gaza-peace-talks-ends-on-positive-note-in-egypt

[7] Wikipedia: Israeli settlement. https://en.wikipedia.org/wiki/Israeli_settlement

[8] B’Tselem: Settlements. https://www.btselem.org/topic/settlements

[9] Peace Now: 30 years after Oslo – the data that shows how the settlements proliferated. https://peacenow.org.il/en/30-years-after-oslo-the-data-that-shows-how-the-settlements-proliferated-following-the-oslo-accords

[10] Wikipedia: ICJ case on Israel’s occupation of the Palestinian territories. https://en.wikipedia.org/wiki/ICJ_case_on_Israel’s_occupation_of_the_Palestinian_territories

[11] Wikipedia: 2000 Camp David Summit. https://en.wikipedia.org/wiki/2000_Camp_David_Summit

[12] CNN: Netanyahu on Palestinian sovereignty and two-state solution. https://www.cnn.com/2024/01/21/middleeast/netanyahu-palestinian-sovereignty-two-state-solution-intl

[13] Genocide Watch: Netanyahu – any future Palestinian state would destroy Israel. https://www.genocidewatch.com/single-post/netanyahu-any-future-palestinian-state-would-destroy-israel

[14] Common Dreams: Israel two-state solution. https://www.commondreams.org/opinion/israel-two-state-solution

[15] American University: What is the one-state solution and why is it unlikely to work. https://www.american.edu/sis/news/20231121-what-is-the-one-state-solution-and-why-is-it-unlikely-to-work.cfm

[16] Wikipedia: International recognition of Palestine. https://en.wikipedia.org/wiki/International_recognition_of_Palestine

[17] UN Press: More countries recognize Palestine. https://press.un.org/en/2025/pal2251.doc.htm

[18] Wikipedia: United Nations Security Council Resolution 242. https://en.wikipedia.org/wiki/United_Nations_Security_Council_Resolution_242

[19] Wikipedia: Israel-Hezbollah war ceasefire. https://en.wikipedia.org/wiki/2006_Lebanon_War

[20] Halifax CityNews: Lebanese army chief briefs government on Hezbollah’s disarmament. https://halifax.citynews.ca/2025/10/06/lebanese-army-chief-briefs-government-on-hezbollahs-disarmament-as-israel-strikes-kill-2/

[21] Wikipedia: Iran-Israel war. https://en.wikipedia.org/wiki/Iran%E2%80%93Israel_war

[22] Wikipedia: 28 August 2025 Israeli attacks on Yemen. https://en.wikipedia.org/wiki/28_August_2025_Israeli_attacks_on_Yemen

[23] The Soufan Center: IntelBrief September 17, 2025. https://thesoufancenter.org/intelbrief-2025-september-17/

[24] Chatham House: The fall of President Bashar al-Assad – blow to Iran and Russia. https://www.chathamhouse.org/2024/12/fall-president-bashar-al-assad-blow-iran-and-russia-and-boost-turkey

[25] Wikipedia: 2025 PKK-Turkey peace process. https://en.wikipedia.org/wiki/2025_PKK%E2%80%93Turkey_peace_process

[26] Wikipedia: Israeli settlement timeline. https://en.wikipedia.org/wiki/Israeli_settlement_timeline

[27] Gallup: Peace a distant prospect for Israelis and Palestinians. https://news.gallup.com/poll/695582/peace-distant-prospect-israelis-palestinians.aspx

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