Die Paradoxie der Mitte: Warum das Übernehmen von AfD-Themen die Rechtspopulisten stärkt
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Die AfD liegt bundesweit bei 27 Prozent, in einigen Bundesländern sogar noch höher. In NRW hat sie ihr Ergebnis seit 2020 mehr als verdreifacht. Gleichzeitig verschärfen CDU, CSU und selbst Teile der SPD ihre Rhetorik bei Migration und innerer Sicherheit.
Doch anstatt die AfD einzudämmen, scheint dieser Kurs sie zu stärken. Warum? Weil das Übernehmen von AfD-Themendie AfD nicht schwächt – sondern legitimiert.
Das Original schlägt die Kopie
Jean-Marie Le Pen sagte einmal: „Die Menschen bevorzugen immer das Original, nicht die Kopie.“
Dieser Satz beschreibt das Dilemma der politischen Mitte perfekt. Wenn CDU oder FDP plötzlich dieselben Themen und Formulierungen aufgreifen wie die AfD, verlieren sie ihre Glaubwürdigkeit – und bestätigen gleichzeitig die AfD in ihrer Erzählung: „Seht ihr, jetzt reden sie endlich wie wir.“
Alice Weidel kann sich dabei entspannt zurücklehnen. Jede neue „harte Linie“ der Union oder jeder verschärfte Ton von SPD-Innenpolitikern wirkt wie ein nachträgliches Eingeständnis, dass die AfD „recht hatte“. Die Strategie, rechte Themen zu übernehmen, verfehlt ihr Ziel – sie normalisiert sie.
Wenn der Mainstream rechts wird
Das Overton-Fenster – also der Bereich des gesellschaftlich Sagbaren – verschiebt sich schleichend nach rechts. Begriffe wie „Remigration“ galten noch vor wenigen Jahren als rechtsextrem. Heute werden sie in Talkshows diskutiert.
Diese Normalisierung ist Gift für die Demokratie und Dünger für den Rechtspopulismus. Studien aus über einem Dutzend westeuropäischer Länder zeigen: Wenn Mitte-Parteien rechtspopulistische Positionen übernehmen, schwächt das nicht die Extreme, sondern stärkt sie.
Die AfD profitiert doppelt: Einerseits, weil ihre Kernthesen salonfähig werden. Andererseits, weil sie sich weiterhin als „einzige echte Opposition“ inszenieren kann.
Die CDU als unfreiwillige Wahlkampfhilfe
Friedrich Merz ist längst zum besten Wahlhelfer der AfD geworden – unfreiwillig, aber effektiv.
Mit jeder migrationspolitischen Zuspitzung füttert er die Erzählung, dass sich die etablierte Politik endlich der „Realität“ stelle – also der Realität, wie sie die AfD zeichnet.
Dabei übersieht er: Wer AfD-Positionen übernimmt, verschiebt nicht nur die eigene Partei, sondern das gesamte politische Koordinatensystem.
Die AfD muss kaum noch aktiv werben. Ihre Themen sind längst Mainstream geworden – getragen von jenen, die sie eigentlich stoppen wollten. Das ist die eigentliche Tragödie der politischen Mitte.
Eigene Themen statt Nachahmung
Die einzige wirksame Strategie gegen Populismus ist nicht Nachahmung, sondern Abgrenzung.
Demokratische Parteien müssen wieder eigene Themen setzen: soziale Gerechtigkeit, wirtschaftliche Stabilität, Zukunftsinvestitionen, Bildung. Wer versucht, die AfD rhetorisch zu überholen, verliert den moralischen und inhaltlichen Kompass.
Auch mediale Reaktionen spielen eine Rolle: Jede kalkulierte Provokation der AfD funktioniert nur, wenn sie Empörung erzeugt. Keine Empörung – keine Reichweite. Wer AfD-Themen übernimmt oder sie endlos kommentiert, spielt das Spiel der Populisten mit.
Fazit: Die Kopie stärkt das Original
Die aktuelle Strategie der Mitte ist gescheitert. Wer AfD-Themen übernimmt, macht sie gesellschaftsfähig.
Die Zahlen belegen: Jede Anpassung stärkt die Rechten, jede vermeintliche „Klartext“-Kampagne treibt Wähler zur AfD statt von ihr weg.
Es wird Zeit, dass CDU, SPD und FDP das begreifen. Die Demokratie braucht kein rechtes Echo, sondern eine glaubwürdige Alternative.
Denn wer nur noch reagiert, statt zu gestalten, hat längst verloren.
